Was ist gut am Älterwerden, Herr von Weizsäcker?

Ernst Ulrich von Weizsäcker erforscht als Umweltwissenschaftler seit mehr als 30 Jahren den Zustand der Erde. Er schreibt darüber Bücher, hält Vorträge und führt Diskussionen  – zum Beispiel gemeinsam mit Klaus Töpfer und Ise Bosch am 25.11.2021 auf dem Deutschen Seniorentag. Ein Gespräch vorab.

Was ist gut am Älterwerden, Herr von Weizsäcker?
Erfahrung. Und Erinnerung – auch an Schlimmes, was in Deutschland passiert ist vor zwei Generationen und mehr. Man muss ja mit Schrecken merken, dass es junge Leute gibt, die davon keine Ahnung haben.

Was hilft Ihnen beim Älterwerden?
Einmal das funktionierende Sozialsystem, sodass wir in Deutschland als älter und alt Werdende keine direkte materielle Angst haben müssen. Und meine persönliche Situation. Eine unserer Töchter hat meiner Frau und mir vor etwa 15 Jahren gesagt: „Wollen wir nicht zusammen in einem drei Generationen Haus leben?“ Ich war zu der Zeit in Kalifornien berufstätig. Meine Frau lebte in Bonn. Wir haben beide ja gesagt. Einzige Bedingung war, dass wir in den Schwarzwald zu unserer Tochter, ihrem Mann und den drei Kindern kommen. Das war ein ziemlicher Umzug. Aber es hat geklappt. Und jetzt leben wir im Drei-Generationen-Haus. Wunderbar.

Inwiefern betreffen Umweltzerstörung und Klimakrise die Älteren?
Wir Älteren haben noch eine Zeit gekannt, als im Winter selbstverständlich Schnee fiel, als die Gletscher eher wuchsen, als schmolzen, als der Anstieg des Meeresspiegels kein Thema war. Und als es keine großen fürchterlichen Hitzewellen gab und nur selten sturzartige Regenfälle.

Was kann die ältere Generation beitragen, die natürlichen Lebensgrundlagen für die zukünftigen Generationen zu bewahren?
Es erfordert eine sehr tiefgreifende Bewusstseinsveränderung, damit eine so umfassende zivilisatorische Veränderung eintritt, dass es ursächlich besser wird. Und da müssen die Alten, die noch die frühere Zeit erlebt haben, kräftig mit dabei sein. Sie sollten eine Art von Allianz mit den Jungen machen. Denn die in der Mitte des Lebens, die auch eine Familie ernähren müssen, denken begreiflicherweise erst mal an die materiellen Interessen im Jetzt, die ja sehr häufig in krassem Widerspruch stehen zu einer klimaverträglichen und umweltfreundlichen Zivilisation.

Wie gelingt eine solche tiefgreifende Bewusstseinsänderung?
Wir brauchen eine neue Aufklärung für diese stark bevölkerte  Welt. Strukturell war die alte Aufklärung materialistisch, egoistisch, individualistisch und technologiegläubig. Die neue Aufklärung muss auf einer Erkenntnis aufbauen, dass der Fortschritt, wie er sich in den letzten Jahrhunderten ausgebildet hat, große Gefahren erzeugt hat. Das ist bisher noch nicht im Bewusstsein. Es wird immer noch in den ganz großen Fortschritt investiert. Dafür werden Belohnungen gemacht. Für zerstörerische Dinge. Wir brauchen stattdessen ein Belohnungssystem für richtiges Verhalten. Und die Preise auf dem Markt müssen die ökologische Wahrheit sagen. Das ist aber ein Wunschtraum. Heute werden ungefähr 5.100 Milliarden Dollar weltweit in die Subventionierung des Verbrennens von fossilen Brennstoffen gesteckt. Es sind die gleichen Staaten, die mit Steuermitteln diese Subventionen finanzieren, die das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet haben.

Was tun Sie persönlich in Ihrem Alltag für Umwelt und Klimaschutz?
Ich möchte nicht, dass die Diskussion immer mit einem moralischen Vorwurf an das heutige eigene Verhalten endet, so als ob es keine Rahmensetzung gäbe. Das ist zwar auch ein Teil der Wahrheit, aber solange man den philosophischen Untergrund völlig im Dunkeln lässt und ganz naiv immer noch „Wachstum, Wachstum, Fortschritt, Fortschritt“ predigt, dann kriegen wir es nicht gebacken, unsere Ernährungsweise, unsere Mobilität und unsere Stadtplanung in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern.

Interview: Valeska Zepp

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