Was ist gut am Älterwerden, Frau Käßmann?

Die Theologin Margot Käßmann war unter anderem Landesbischöfin in Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland. Auf dem Deutschen Seniorentag liest sie am 26.11.2021 aus ihrem Buch „Freundschaft, die uns im Leben trägt“. Ein Gespräch vorab.

Was ist gut am Älterwerden – Margot Käßmann?
Also ich genieße am Älterwerden, dass weniger Zeitdruck vorhanden ist, verglichen mit meinem Leben in der Rushhour mit Familie und Beruf. Und ich empfinde eine größere Gelassenheit den Dingen gegenüber, auch in Auseinandersetzungen.

Was hilft Ihnen beim Älterwerden?
Ich erlebe das gar nicht so, als dass ich Hilfestellung brauche! Ich erlebe das Älterwerden mit relativ großem Vergnügen, vor allem diese größeren Freiheiten.

Welche Bedeutung haben Freundschaften für Sie?
Für mich haben Freundschaften eine große Bedeutung. Zum einen die lange andauernden – mit meiner langjährigsten Freundin bin ich 35 Jahre befreundet –, weil du in den Höhen und Tiefen des Lebens zueinander stehst. Aber ich finde es auch schön, dass mit dem Älterwerden immer wieder neue Freundschaften entstehen können. Freundinnen und Freunde sind Lebensbegleiter. Ich denke gerade in der Corona-Zeit haben wir erlebt, dass viele unter Einsamkeit gelitten haben. Freundschaften sind da ein ganz stabilisierender Faktor. 

Wie pflegt man Freundschaften, damit sie tragen in schwierigeren Zeiten?
Ich finde wichtig, dass wir in Freundschaften auch investieren. Sie sind nicht einfach so da. Nur wenn man Zeit miteinander verbringt, wächst die Freundschaft. Es braucht viele Stunden, damit aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft entsteht. Das ist sogar statistisch nachgewiesen. Es braucht 50 gemeinsame Stunden vom Bekannten zum Freund. Und 200 Stunden bis zum guten Freund. Das heißt, wir müssen bewusst Zeit miteinander verbringen wollen. Ich mache das mittlerweile mit Freundinnen. Vor Kurzem haben wir zu dritt ein Wochenende in unserem Ferienhaus auf Usedom verbracht. Ein Wochenende zusammen, das ist etwas ganz anderes als schnell mal eine Tasse Kaffee zu trinken.

Wie viele Freundschaften braucht man denn? Ist es da überhaupt die Quantität entscheidend oder eher die Qualität?
Es ist sicher eher die Qualität. Interessant finde ich die Statistik, dass Männer in der Regel fünf gute Freunde haben und Frauen drei. Das hat mich überrascht, das hätte ich andersherum vermutet. Aber es kann natürlich sein, dass Männer schneller sagen „wir sind befreundet“ als Frauen. Männer definieren Freundschaft oft über gemeinsame Sport-Interessen oder auch sehr stark vom beruflichen Umfeld her. Frauen definieren Freundschaften doch eher über privaten Themen. Und da ist es vielleicht so, dass man nicht ganz so viele mit hinein nimmt. Ich habe drei sehr gute Freundinnen und fünf bis acht Freundinnen im weiteren Sinne.

Verändern sich Freundschaften mit dem Alter und durchs Älterwerden?
Ich denke, die Freundschaften vertiefen sich. Natürlich gibt es auch immer mal Freundschaften, die auslaufen, weil die Lebensentwürfe sich verschieden entwickeln. Ich finde, das muss auch hingenommen werden bei einer Freundschaft. Aber es gibt auch Freundschaften, die sich vertiefen, weil du wieder mehr Zeit füreinander hast. In dieser Zeit, in der die Kinder klein und Eltern beruflich gefordert sind, ist es doch manchmal schwer, die Freundschaft intensiv aufrecht zu erhalten. Aber ich denke, dass wir unsere Freundschaften bewusst pflegen sollten, bevor wir alt werden. Wenn Menschen im Alter sehr einsam sind, dann heißt das ja oft auch, dass sie keine Freundschaften gepflegt haben als sie jünger waren.

Wie geht man mit dem Verlust von Freundschaften um?
Natürlich ist es traurig, wenn eine langjährige Freundschaft auseinandergeht. Aber da sollten wir eine gewisse Gelassenheit entwickeln. Es gibt Lebensphasen, in denen wir uns näher sind und andere, in der man sich weiter entfernt. Natürlich gibt es auch Abschiede, wenn wir älter werden. Ich finde, dann sollten wir in aller Freundschaft Abschied nehmen ohne böse Gedanken und ohne Wehmut. Abschiede gehören einfach zum Leben auch dazu. Und gerade im Alter auch endgültige, weil Freundinnen und Freunde sterben.

Interview: Valeska Zepp

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