Was ist gut am Älterwerden, Herr Sittler?

Walter Sittler ist Schauspieler, Filmproduzent und Autor. Er engagiert sich bei der Organisation HelpAge Deutschland, die weltweit gegen Altersarmut, Altersdiskriminierung, Ausgrenzung und Isolation kämpft. Auf dem Deutschen Seniorentag diskutiert er am 24.11.2021 mit der Schauspielerin Uschi Glas und dem BAGSO-Vorsitzenden Franz Müntefering über das Älterwerden. Ein Gespräch vorab.
Was ist gut am Älterwerden, Herr Sittler?
Ich habe das Glück mit meinen 68 Jahren schon viel erlebt zu haben. Einiges ist gut gelungen, eine ganze Reihe von Fehlern waren dabei. Die Sicht auf das alles, die Einordnung des Ganzen, relativiert vieles. Und es erhöht sicher auch die Toleranz anderen gegenüber. Ich persönlich habe gelernt, dass es Vorgänge gibt, die ich nicht verstehe. Zum Beispiel im politischen Bereich, selbst bei Freunden. Aber das muss ich auch nicht verstehen. In aller Ruhe darüber sprechen und daran arbeiten, das ist vielleicht die beste Lektion, die ich immer noch versuche zu lernen.
Sie haben mal gesagt, Sie möchten nicht einen Tag jünger sein.
Ja, das stimmt! Jung war ich schon und in meiner Erinnerung war diese Zeit nicht die schönste Zeit, wie immer wieder behauptet wird. In die Welt hineinwachsen und Erwachsenwerden ist schwierig. Es passiert so viel Unverständliches und Einengendes. Wenn man das hinter sich hat, kommt man besser mit dem Leben klar, finde ich. Älterwerden ist spannend, Verantwortung ist spannend. Entscheidend dabei ist allerdings, dass man wach bleibt und nicht einer wird, der sagt, früher war alles besser. Das stimmt nicht, ich war ja dabei.
Was hilft Ihnen beim Älterwerden?
Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt. Ich hatte als Schauspieler immer Arbeit. Meine Frau und ich sind seit bald 37 Jahren zusammen – wir haben und hatten ein schönes Leben. Eines ist dabei für mich immer wichtig gewesen: ‚Ich bin nicht so wichtig. Niemand ist wirklich wichtig‘. Zusammen können wir viel mehr. Je älter ich werde, desto klarer wird mir das. Dieses: „Ich bin so toll. Hauptsache ich“, damit kann ich nicht viel anfangen.
Ist das der Grund, warum Sie sich sozial engagieren?
Ja, und auch weil ich der Überzeugung bin, dass Jede und Jeder von uns einen Beitrag für die Gesellschaft leisten sollte, wenn es irgend geht. Die Güte einer Gesellschaft entscheidet sich an ihrem Umgang mit den Schwächsten. Diese Binsenweisheit ist heute genauso wichtig, wie vor 50 Jahren. So wird beispielsweise die weiter stark wachsende ungleiche Vermögensverteilung zu kaum lösbaren Problemen führen, wenn diese Hierarchie nicht eingedämmt wird.
Was bedeutet es für Sie, vor der Kamera älter zu werden?
Wenn ich Aufnahmen von früher sehe, denke ich schon manchmal: „Wer ist dieser Mensch?“. Ich weiß natürlich, dass ich das bin. Ich finde es interessant, zu sehen, wie ich mich verändere. Wir alle entwickeln uns ja ständig in unbekannte Richtungen. Das finde ich spannend – das vor uns liegende Unbekannte neugierig zu erwarten.
Wie bringt man Sinn ins Älterwerden?
Ratschläge geben, finde ich da schwierig – es gibt ja so viele unterschiedliche Biografien. Eines der wichtigen Dinge ist bestimmt, dass man freundlich mit sich selbst ist und sich nicht „ins Grab optimiert“, wie meine Tochter das mal formuliert hat. Dass man sich seine Fehler eingesteht und sich nicht verdammt dafür. Es ist auch gut rauszufinden: Was will ich wirklich noch in der verbleibenden Zeit? Und nicht die begrenzte Lebenszeit zu vergeuden, um Zielen hinterher zu hecheln, die gar nicht die eigenen sind. Und es ist gut, Menschen zu finden, mit denen man das, was einen glücklich macht, teilen kann. Denn das Gefühl, glücklich zu sein, ist unbezahlbar.
Interview: Valeska Zepp