Worauf kommt es in diesen Zeiten an, Annelie Keil?

Prof. Dr. Annelie Keil (Jahrgang 1939) ist Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin. Viele Jahre erforschte sie an der Universität Bremen, wie Gesundheit, Krankheit und die eigene Lebensgeschichte zusammenhängen. Sie hat dort auch den Studiengang Palliative Care mitbegründet, ist in der Hospizbewegung aktiv und hat in Bremen die internationale Suppenküche „Gastmahl bei Freundinnen aus aller Welt“ ins Leben gerufen. Auf dem Deutschen Seniorentag spricht sie zum Thema Verletzlichkeit.
Worauf kommt es in diesen Zeiten an?
Mit sich und der Welt verbunden zu bleiben, Brücken zu bauen und Dankbarkeit zu lernen. Und, um es mit den Worten von Janoschs Figur Wondrak zu sagen: Es geht im Leben vor allem darum, „dass man bei Windstärke eins nicht gleich umfällt. Um viel mehr geht es nicht.“
Wofür engagieren Sie sich?
Fürs Brückenbauen. Seit es Menschen gibt, mussten Menschen Brücken bauen, Verbindungen schaffen, Begegnungen ermöglichen. Zwischen Bergen und Tälern, zwischen Wasser und Land, zwischen Jungen und Alten, den Geschlechtern, zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Religionen und Überzeugungen mussten Verbindungen aller Art entwickelt werden – damit Menschen sich begegnen, austauschen und voneinander lernen können. Das Leben selbst ist in seiner Grundstruktur ein Brückenbauer.
Was hätten Sie gerne früher gewusst?
Das Alter kommt in Schüben, nennt viele Zielgraden und verwirft sie auch wieder, rüttelt an den Festen des Bisherigen, kommt als Mühe und manchmal auch als willkommenes Schnäppchen daher. Ein Leben ohne irgendein Alter gibt es nicht! Älter wird der Mensch in jedem Augenblick.
Was ist gut am Älterwerden?
Leben ist kein technischer Vorgang mit voraussehbarem Ablauf und klarem Endergebnis, sondern offener Auftrag. Es geht darum, das Leben in jeder Phase anzunehmen, zu entdecken und erfinderisch zu sein. Sich an uns zugemutete Leben zu gewöhnen, es aus- und durchzuhalten, seine Wandlungen und Veränderungen zu verstehen und mitzugestalten. Und am Ende auch zu lernen, wie man den Löffel abgibt und Abschied von allem nimmt, was man zusammen mit anderen Menschen geschaffen hat.